Habt ihr schonmal dran gedacht, wie eine junge, selbstständige Handwerkerin Schwangerschaft und Beruf miteinander vereinbaren kann? Was bedeutet es für junge Frauen, dass es keine Absicherung in der Schwangerschaft für Selbstständige – und insbesondere nicht für selbstständige Handwerkerinnen gibt?

Johanna Röh – von der Walz in die eigene Werkstatt

Ich bin Tischlermeisterin. Die Ausbildung im Handwerk habe ich in erster Linie gemacht, weil ich nicht nur im Büro sitzen, sondern unbedingt praktisch tätig sein wollte. Als ich Gesellin war, bin ich direkt auf traditionelle Wanderschaft gegangen. Ich fand den Gedanken schön, unterwegs an verschiedenen Orten zu arbeiten und dadurch mit den Menschen zusammen zu kommen und mehr in meinem Beruf zu lernen. 

Am Anfang bin ich erstmal kreuz und quer durch Deutschland gereist, habe mich dann aber schnell ins Ausland aufgemacht. Am Ende sind es vier Jahre geworden – die meiste Zeit habe ich in Kanada, Neuseeland und Japan verbracht. Nach Japan zu kommen war die größte Umstellung. Ich konnte die Sprache nicht & hatte auch keine großen Geldreserven, da man ja immer von der Hand in den Mund lebt, wenn man auf Wanderschaft ist. In Japan habe ich mich nochmal sehr intensiv mit den Handwerkzeugen beschäftigt und auch gemerkt, dass mir die japanische Herangehensweise an die Tischlerei sehr liegt. Dort habe ich den Entschluss gefasst, zurück nach Deutschland zu gehen um die Meisterschule zu besuchen und mich selbstständig zu machen.

Erste Erfolge durch unternehmerischen Mut 

Der Betrieb lief gut an. Ich habe mir nach und nach meine eigene Nische aufgebaut. Mittlerweile ist mein Steckenpferd die Fertigung von hochindividuellen Möbelstücken aus Massivholz. Oft sind diese verziert mit Marketerien – also Furnierbildern. Am Anfang war ich noch in einer Werkstatt eingemietet, aber nach 3 Jahren habe ich mich entschieden, den großen Schritt zu wagen und meine eigene Werkstatt aufzubauen. In der Tischlerei bedeutet das eine große Investition. Das Gebäude muss eingerichtet werden, die Infrastruktur und die Maschinen sind teuer – die monatlichen Fixkosten sind immens. Aber ich wollte das unbedingt, weil ich genau wusste, dass ich mich nur so beruflich voll entfalten kann und das anwenden kann, was ich auf meiner Wanderschaft gelernt habe und was mir Spaß macht.

Zu dem Zeitpunkt haben mein Partner und ich schon darüber nachgedacht, wie das im Falle einer Schwangerschaft leistbar wäre. Beruflich zurückstecken wollte ich nicht, deswegen haben wir bis zu dem Zeitpunkt gewartet, an dem wir dachten, dass wir das schon irgendwie gemeinsam stemmen könnten.

Johanna Röh (Tischlermeisterin)

Maschinenlärm, Lösemittel und schwere Lasten

Die Schwangerschaft verlief von Anfang an nicht einfach – ich hatte bis zum Ende des 5. Monats Hyperemesis – also starke Übelkeit. Zeitweise war ich deswegen im Krankenhaus. Mit Medikamenten ging es meistens – aber die haben müde gemacht. So an die Maschinen zu gehen, war nicht möglich. Als es damit endlich besser wurde, fingen die Rückenschmerzen an. Schwer Heben gehört zu unserem Beruf, ist aber in der Schwangerschaft natürlich nicht förderlich. Das Baby hat sich bei starker Lautstärke mit Tritten bemerkbar gemacht und mit Lösemitteln hantieren, war natürlich auch tabu. Eine angestellte Tischlerin hätte direkt mit Bekanntwerden der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot bekommen und wäre mit vollem Lohnausgleich zu Hause geblieben. Für mich gibt es so etwas nicht. Den finanziellen Puffer, den wir hatten, haben wir schnell aufgebraucht. Zum Glück hat mich eine private Stiftung zusätzlich unterstützt.

Jetzt bin ich in der 38. Schwangerschaftswoche und habe noch eine Baustelle abzuschließen. Meine Auszubildende und mein Geselle sind da natürlich dabei. Aber ich muss trotzdem mit zur Montage und die ganze Zeit nur sitzen funktioniert nur in der Theorie. Ich bin nur noch sehr bedingt einsatzfähig, müsste mir aber eigentlich einen finanziellen Puffer für die Zeit nach der Geburt zulegen, damit ich nicht im Wochenbett wieder in die Werkstatt muss. Andererseits sollte ich zurzeit nicht arbeiten und keine Einnahmen haben, um Anspruch auf Krankengeld/Mutterschaftsgeld zu haben. Dass die Fixkosten einer Tischlerei durchgehend anfallen und eine mögliche Krankengeldzahlung ohnehin bei weitem übersteigen, macht die Situation nicht einfacher. Es gibt einfach keinerlei echte Unterstützung!

Johanna Röh beim Restaurieren von hochwertigen Möbeln

Wie kann das funktionieren: selbstständig und Mutter!?    

Oft denke ich daran, wie einfach es wäre, wenn mein Mann und ich vertauschte – also ganz traditionelle – Rollen hätten. Dann wäre alles einfach. Aber er ist der kaufmännische Angestellte, der im Büro arbeitet und ich bin die selbstständige Tischlermeisterin. 

Für mich fühlt sich das nicht wie Chancengleichzeit oder Geschlechtergerechtigkeit an, dass es keine staatlich geregelte Absicherung für diesen Fall gibt und ich ganz auf mich allein gestellt bin.

Es ist also kein Wunder, dass sich junge Frauen eher nicht für diesen Weg entscheiden – oder wenn doch, dabei in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Ich habe schon von so vielen Frauen gehört, die ihre Selbstständigkeit aufgeben mussten, oder gezwungen waren, sich gegen Kinder zu entscheiden.

Wir brauchen auch weiterhin Frauen im Handwerk!

Dafür versuche ich zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Deswegen habe ich auf change.org eine Petition gestartet. Wir haben schon über 56.000 Unterschriften gesammelt! 

Denn es kann nicht sein, dass schwangere, selbstständige Handwerkerinnen* noch immer durch das soziale Netz fallen.

Der Link zur Petition findet ihr hier: https://change.org/meinewerkstattbleibt

Deine Erfahrung zählt  

Am 3.5. geben wir die Stimmen im Bundeswirtschaftsministerium ab.

Aber um unsere Forderungen und Argumente anhand von Praxisbeispielen zu untermauern, und zu zeigen, dass die jetzige Unterstützung für werdende Mütter nicht genügt, brauchen wir nicht nur deine Unterschrift, sondern auch deine Hilfe.

Du bist auch selbständig und schwanger oder hast selbstständig Nachwuchs bekommen? 

Wir wollen es genau wissen. Konntest du deinen Betrieb halten, oder nicht? Welche Unterstützung hast du von offizieller Seite bekommen? War diese ausreichend, oder hast du dennoch (große) Verluste gemacht? Musstest du deine Beschäftigten entlassen, und/oder einen anderen Betrieb für die Azubis suchen? Wie ist das bei euch, den Landwirtinnen, den Physiotherapeutinnen, den Tierärztinnen, den Schauspielerinnen, den Sattlerinnen, Freiberuflerinnen…? 

Sind eure Anträge auf Mutterschaftsgeld, Kranken- oder Elterngeld oder sonstige finanzielle Unterstützungen ins Leere gelaufen, oder war deutlich, dass diese nicht zum Leben ausreichen? Dein Erfahrungsbericht, dein Antrag, der Ablehnungsbescheid und alle Unterlagen, die du uns zur Verfügung stellst (bitte mit geschwärzten Namen) helfen uns, die Problematik genauer zu durchleuchten, und um Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Schicke uns Deine Erfahrung mit nach Berlin!Idealerweise sendest du uns deinen Bericht und die Unterlagen bis einschließlich Samstag den 30.5.22 an diese Mailadresse: meinewerkstattbleibt@gmail.com

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